Wilde Hefen: die Punks unter den Hefen
Ein diffiziler Typ. Mit der Spontanvergärung ist es wie mit dem Beziehungsstatus verwirrter Teenies auf Facebook: Es ist kompliziert.
Überregional | WeinwissenÖnologen und Kellermeister sind in zwei Lager gespalten: in Befürworter und Gegner der so genannten Spontanvergärung, also der alkoholischen Gärung durch natürlich im Weinberg und im Keller vorkommende Hefearten ohne den Zusatz von speziell gezüchteten Weinhefen. Was ist tatsächlich dran an der Spontangärung?
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass bis in die 1970er Jahre Spontanvergärung in den Kellern der Weinerzeuger die einzige und normale Form der Weinwerdung war. Spontangärung ist der natürliche mikrobiologische Vorgang, der einsetzt, wenn man Früchte auspresst und ihren Saft gären lässt. Die Gärung, die nicht spontan passiert nennt man kontrollierte oder geführte Gärung. Denn zur Gärführung gehören nicht nur die Temperaturkontrolle oder das Abstoppen der Gärung zu einem gewünschten Zeitpunkt, sondern auch ein möglichst rascher Start, bevor sich auf dem süßen Traubenmost Schimmel bilden kann oder sich Bakterien verbreiten können.
Dieser rasche Gärstart lässt sich am besten mit speziell vorbereiteten Hefen bewerkstelligen, bei denen gewährleistet ist, dass sie auch zur gewünschten Art der „Saccharomyceten“, also der Zuckerpilze, gehören. Mit zunehmendem Wissen über die Vorgänge der Weingärung stellte man fest, dass Saccharomyces cerevisiae die reintönigsten und sortentypischsten Weine hervorbringt. In den 1960er und 1970er Jahren wurden technische Verfahren entwickelt, diese Hefen gefriergetrocknet und somit jedem Kellermeister in Tüten verpackt anbieten zu können. Die Gärung wird durch deren Einsatz im Wesentlichen von nur einer einzigen Hefesorte bewerkstelligt, und der Kellermeister kann sicher sein, dass er einen Wein erhält, wie er ihn sich vorstellt.
Wilde Hefen kennen das Gesetz der Straße
Wer nun aber keinen Wert auf ein sicheres Verfahren legt, wer der Natur mehr „Mitspracherecht“ bei der Weinherstellung einräumen möchte und keine Angst davor hat, auch mal ein verdorbenes Fass Wein im Keller zu haben, der vertraut auf die natürlich im Weinberg, auf den Trauben und im Keller vorhandenen Hefearten, auf einen natürlich einsetzenden Gärprozess, also auf die „Spontangärung“.
Spontan heißt in diesem Fall allerdings nicht sofort. Die so genannten „wilden Hefen“, also die in unserer Umwelt überall vorkommenden natürlichen Hefen, lassen sich meistens viel Zeit, bis sie ihre Arbeit aufnehmen. Sie haben andere Eigenschaften als die reinrassigen Zuchthefen, denn sie haben es mit Luft, Trockenheit und ständig wechselnden Temperaturen zu tun. Sie müssen härter sein im Nehmen als die im Labor aufgepäppelten und gepflegten Saccharomyceten. Sie kennen quasi das Gesetz der Straße, sind entsprechend durchsetzungsfähig gegenüber anderen Mikroorganismen und kommen in der natürlichen Mikroflora deshalb sehr viel häufiger vor. Ihr Anteil auf den Trauben zur Lesezeit ist wesentlich höher als der der Saccharomyceten.
Kevin Grieve @ unsplash
Bildquelle: Kevin Grieve @ unsplash, Zwei Menschen von hinten, CC0 1.0
Erst einmal im Traubenmost angekommen, lassen die wilden Hefen den anderen Hefen zunächst keine Chance, sich zu entwickeln. Aber sie haben eine große Schwäche: Sie vertragen keinen Alkohol. Sie sterben also viel früher an ihrem eigenen Abfallprodukt als die Zuckerpilze. Denn Alkohol vertragen die Saccharomyceten besser als ihre Brüder von der Kahm- oder Apiculatusfraktion. Somit bekommen letztlich während jeder Gärung ab 6 bis 8 Volumenprozent Alkoholgehalt die Zuckerpilze die Oberhand. Gegen Ende der Gärung ist immer Saccharomyces cerevisiae fast allein im Wein vorhanden.
Spontanvergorene Weine herzustellen ist also vor allem eine Frage der Philosophie und der Risikofreude des Kellermeisters.
Text wurde veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Fachverlags Dr. Fraund, nachzulesen in WEIN+MARKT Ausgabe 5-09.