Nie mehr im Trüben fischen
Was ist eigentlich ein Dekanter? Der geneigte Leser wird den Finger heben: „Weiß ich! Das ist eine Glaskaraffe.“ Leider falsch.
WeinwissenEine Glaskaraffe ist eine Glaskaraffe. Ein Dekanter ist eine ziemlich große Maschine. Und dennoch dient die Glaskaraffe zum Dekantieren.Wer ein Hefeweizen trinkt, erwartet ein trübes Getränk, das noch Hefezellen enthält, und lässt es sich schmecken. Wer im Restaurant einen Wein serviert bekommt, der ähnlich aussieht, würde sich vermutlich heftig beschweren. Jeder Weinerzeuger und Abfüller ist deshalb äußerst bemüht, Weintrübungen zu verhindern.
Diese können vielfältige Ursachen haben. Beim frisch gepressten Most sind es schlicht Reste von Fruchtfleisch und Beerenhäuten. Ein Großteil davon wird heute vor der Gärung entfernt. Beim vergorenen Wein sind es zunächst die Hefezellen – wir kennen das vom Federweißen. So genannte Schönungsmaßnahmen erzeugen ebenfalls Trübungen im Wein, die anschließend beseitigt werden müssen. Zum Beispiel, wenn mit Hilfe von Eiweiß (Eiklar, Hausenblase oder Gelatine) Bitterstoffe entfernt werden. Das zugefügte Eiweiß bindet unerwünschte Tannine, wodurch eine deutliche Trübung im Wein entsteht. Diese Trubstoffe werden komplett wieder aus dem Wein genommen. So ist das heute.
Früher gab es Geduld, heute Dekanter
Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein aber gab es für die Kellermeister kaum Möglichkeiten, Trubstoffe oder Ausfällungen jeglicher Art aus dem Wein zu entfernen. Das Mittel der Wahl war schlicht und einfach die Zeit. Dabei wurde der Wein häufig sogar zweimal trüb und wieder „hell“ ohne das Zutun des Menschen. Nach beendeter Gärung im frühen Winter setzten sich die Hefen ab. Der Wein wurde blank. Wenn im Frühjahr mit steigenden Außentemperaturen auch die Keller wieder wärmer wurden, fingen die meisten Weine an, erneut zu gären. Das dachten zumindest die Winzer. Tatsächlich kam dann ein natürlicher Säureabbau in Gang, der die Weine milder, stabiler und haltbarer machte. Erst wenn sich die Milchsäurebakterien nach getaner Arbeit ebenfalls abgesetzt hatten, konnte man den Wein blank und „glanzhell“ (so der Fachbegriff) abziehen und verkaufen oder in Flaschen füllen.
Heute ist für natürliche Klärungsvorgänge meist keine Zeit mehr. Möglichst schon vor Weihnachten sollen die Weine des jüngsten Jahrgangs verkaufsfertig sein. Das Klären ist dann nur mit dem Einsatz von Biochemie und Technik möglich. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert begannen immer mehr Betriebe, Maschinen einzusetzen, die schon seit Anfang des Jahrhunderts aus der Molkereitechnik, aus Kläranlagen oder der pharmazeutischen Industrie bekannt waren: Hydrozyklone.
Schwindelfrei: Hydrozyklone
Auch Dekanter sind Hydrozyklone, deren Funktionsweise auf der Nutzung der Zentrifugalkraft basiert. Das ist die Kraft, die die Sitze eines Kettenkarussells nach außen fliegen oder Menschen von einer rotierenden Scheibe rutschen lässt. Damit lassen sich selbst sehr feine Feststoffe aus Flüssigkeiten entfernen. Das Prinzip beruht darauf, dass in einem schnell rotierenden Behälter alle Stoffe mit einer höheren Dichte nach außen gedrängt werden. Zur Mitte hin bleibt die reine Flüssigkeit. Durch spezielle Ventile können diese Feststoffe dann abgetrennt werden. Auch die Hefen im Wein haben eine höhere Dichte als der Wein selbst und können somit auf diese Weise entfernt werden. In den Molkereien wird so Milch entrahmt oder Frischkäse hergestellt.
Techniker unterscheiden drei verschiedene Bauweisen von Maschinen, deren Funktionsweise auf dem Prinzip Hydrozyklon beruht: Separatoren, Zentrifugen und Dekanter. Dekanter werden dabei vorzugsweise für die Klärung von Weißweinmosten eingesetzt. Auch Rotweine, die mittels Thermovinifikation hergestellt wurden, können so einer ersten Klärung unterzogen werden. Und schließlich dienen Dekanter dazu, Wein zurückzugewinnen, der zusammen mit der Hefe aus den Fässern genommen wurde. Separatoren dienen oft dazu, leichte Filtrationen zu ersetzen oder geschmackliche Verbesserungen zu erreichen. Zentrifugen wiederum gibt es auch im Laborformat im medizinisch-technischen Bereich.
Aber egal welche Maschine zum Einsatz kommt, schonend für das fragile Produkt Wein sind sie alle nicht, weshalb qualitätsorientierte Erzeuger grundsätzlich auf Hydrozyklone verzichten. Beim Dekantieren in eine Glaskaraffe geht es ebenfalls um das Abtrennen von Feststoffen aus dem Wein. Effektive Filtration war vor 100 Jahren noch nicht möglich. Deshalb war der Einsatz einer Karaffe damals absolut normal, damit der Trub (eine Mischung aus Hefen, Bakterien, Gerbstoffen und Weinstein) nicht in den Gläsern landete.
Was bedeutet Karaffieren?
Als Karaffieren hingegen wird das Abgießen eines Weins „über Luft“ in eine Karaffe bezeichnet, um durch die Sauerstoffaufnahme möglichst viel Aroma aufzuschließen und allzu dominante Tannine durch Oxidation etwas zu bändigen.
Text wurde veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Fachverlags Dr. Fraund, nachzulesen in WEIN+MARKT Ausgabe 14-16.